Der türkische Ministerpräsident Erdogan und Bundeskanzlerin Merkel  (picture alliance / dpa - Tim Brakemeier)
Der türkische Ministerpräsident Erdogan und Bundeskanzlerin Merkel (picture alliance / dpa - Tim Brakemeier) (picture alliance / dpa - Tim Brakemeier)

Von Kemal Hür

Deutschland darf in der Debatte um den Völkermord an den Armeniern keine Rücksicht auf ihre Beziehungen zur Türkei nehmen, kommentiert Kemal Hür. Diplomatischer Druck sei nötig, damit Ankara seine Leugnungspolitik aufgebe. Deutschland dürfe die Geschichtsklitterung der Türkei nicht teilen.

Ein Völkermord ist ein Völkermord – und das sollte Deutschland am besten wissen. Der Umgang der Bundesrepublik mit dem Holocaust wird weltweit als beispielhaft und vorbildlich bezeichnet. Zu Recht. Aber im Umgang mit dem Genozid an den Armeniern verhält sich Deutschland heute genauso unrühmlich wie damals das deutsche Kaiserreich während des Völkermordes im Osmanischen Reich.

Die Jungtürken haben 1915 rund 1,5 Millionen Armenier mit Wissen der deutschen Offiziere auf Todesmärsche geschickt und ermordet. Der Reichskanzler ließ damals wissen, das Bündnis mit dem Osmanischen Reich sei ihm wichtiger als das Schicksal der Armenier. Der Schriftverkehr ist im Archiv des deutschen Auswärtigen Amtes dokumentiert. Erst vor zwei Monaten, im vergangenen Februar, beschäftigten sich international namhafte Historiker auf einer wissenschaftlichen Konferenz in Berlin mit der deutschen Verstrickung in den Genozid. Eine zentrale Aussage lautete: Der Völkermord an den Armeniern ist seit 100 Jahren deutsches Regierungswissen.

Umso fassungsloser sind die in Deutschland lebenden Armenier, aber auch das armenische Volk insgesamt, dass der Deutsche Bundestag seinen Beschluss von vor zehn Jahren nicht korrigieren will. Im Juni 2005 hatte der Bundestag es vermieden, den Begriff Genozid zu verwenden. Im Beschluss wurde aber darauf verwiesen, dass viele Historiker die Massendeportationen und Tötungen als Genozid einstufen.

Geschichtsklitterung der Türkei nicht teilen

Am 24. April, dem Gedenktag des Völkermordes, wird der Bundestag wieder eine Deklaration zu diesem Thema beschließen. Und nun ist bekannt geworden, dass in den Entwürfen der Regierungsfraktionen der Begriff “Völkermord” zunächst auftauchte, dann aber doch wieder gestrichen wurde. Warum? Scheut die Bundesregierung den Konflikt mit der Türkei und Recep Tayyp Erdogan? Das wäre ein beschämender Kuschelkurs gegenüber einem Präsidenten, der immer autoritärer regiert und längst bereit ist, demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien seinem Machthunger zu opfern. Deutschland sollte auf seine Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen. Diplomatischer Druck auf die Türkei ist nötig, damit die ihre Leugnungspolitik nach 100 Jahren endlich aufgibt.

Auch mit Rücksicht auf die multiethnische deutsche Gesellschaft ist die deutsche Regierung gut beraten, die historische Faktizität des Genozids anzuerkennen. Hier gibt es Schulklassen, in denen Kinder türkischer und armenischer Einwanderer nebeneinander sitzen. Wenn sie im Geschichtsunterricht den Ersten Weltkrieg behandeln, darf kein Zweifel daran bestehen, dass Deutschland die Geschichtsklitterung der Türkei nicht teilt. Dass die Armenier Opfer eines Völkermords geworden sind. Und dass ein solcher Völkermord nicht geleugnet werden darf – schon gar nicht von und in Deutschland.

Weiterführende Information

Buch zur Armenier-Frage – Welche Rolle spielte Deutschland?
(Deutschlandfunk, Informationen am Morgen, 27.02.2015)

Völkermord an den Armeniern – Deutsches Wissen, deutsche Schuld
(Deutschlandfunk, Europa heute, 14.04.2015)

Nach Papst-Messe zu Armeniern – Türkei bestellt Vatikan-Botschafter ein
(Deutschlandfunk, Aktuell, 12.04.2015)

www.deutschlandfunk.de

 

 

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