Am 6. Mai 1941 flogen deutsche Bomber des Typs Dornier Do17 über Athen. (Bild: STR / Keystone)

Jaklin Chatschadorian

 

Michael Wolffsohn relativiert und leugnet den Völkermord an den Armeniern,
indem er ihn völlig unnötig in Konkurrenz zum Holocaust bringt.

Als Historiker, der sich eingehend mit dem Völkermord an den Juden und damit auch mit der Regelung der UN-Resolution befasst hat, müsste er wissen (um nicht zu sagen WEISS ER), dass die “Einzigartigkeit” eines Massakers kein Tatbestandsmerkmal des Straftatbestandes “Völkermord” ist.

Und doch scheint es so, als ob Wolffssohn schlichtweg übersehen will, dass es sich bei dem Begriff Völkermord um einen in der UN Völkermordkonvention, 1948 von Raphael Lemkin, klar definierten Straftatbestand handelt, und eben nicht nur um eine sprachliche Regelung deutscher Politiker, Behörden und Linguisten, selbst wenn das Wort “im Amtsdeutschen” zunächst einmal automatisch, gedanklich zum Holocaust und nicht zu anderen Völkermorden führt.

Entscheidendes Tatbestandsmerkmal ist die VERNICHTUNGSABSICHT. Diese Absicht haben beide Völkermorde, der Holocaust ebenso wie der Armeniergenozid gemeinsam.

Der Unterschied liegt zB in der Zahl der Opfer. Der Holocaust mit der Ermordung von über 6 Mio Juden war in seiner Dimension (Opferanzahl) einzigartig. So gesehen hatte der Armeniergenozid “nur” 1,5 Mio Tote, rechnet man die Opfer der Aramäer und Pontos-Griechen hinzu, kommt man auf “nur” 3 Mio Opfer.
Ebenso einzigartig war die Dimension der Organisation des Völkermordes. Insoweit hat Hitler das Werk des Osmanischen Triumvirates Talat-Enver-Cemal perfektioniert.

Schließlich ist der Hinweis Wolffsohns auf die “Waffen der Armenier” in der Begründung seiner Ablehnung der Vergleichbarkeit völlig verfehlt und sachlich falsch.

Die Frage, ob die Seite der Opfer bewaffnet war, ist nicht nur bei der Beurteilung des Straftatbestandes Völkermord irrelevant. Sie führt auch in die Irre.

Einerseits waren die Armenier zu einem sehr kleinen Teil zwecks Selbstverteidigung nach Massakern, die dem Völkermord von 1915 vorausgegangen waren bewaffnet. Die Menge an Kämpfern und Waffen stand in keiner vernünftigen Relation.
Die überwiegende Masse der Menschen war beim “Startschuss” zum Völkermord, währenddessen und danach, nicht bewaffnet und wurde – ebenso wie die Juden des Holocausts – vom Esstisch zur Schlachtbank resp. ins KZ geführt. Männer wurden direkt vor der Türe erschossen, Frauen die den Massakern entkamen wurden benutzt und deportiert.
Es handelte sich 1915 – ebenso wie 1933/1939-1945 – gerade nicht um einen Krieg von Soldaten der einen Seite gegen Soldaten der anderen Seite,
sondern um eine organisierte Massentötung in Vernichtungsabsicht, geplant und durchgeführt von einer übermächtigen Regierung und seinen Schergen gegen friedliche Zivilisten, gegen Einheimische mit derselben Staatsbürgerschaft, aber anderer Ethnie bzw. Religion.

Selbstverständlich sind zwei in Vernichtungsabsicht erfolgte Ausrottungen vergleichbar! Es bleibt dabei: Einzigartigkeit in Dimension und Ausführungsperfektion entscheiden nicht über das OB eines Völkermordes.
Andernfalls könnte man an einem kleinen Volk grds. keinen Völkermord verüben. Dieser Gedanke ist absurd.

Völlig unnötig ist auch die Warnung des Historikers vor möglichen Schadensersatzansprüchen. Die Frage, ob man einen Völkermord als solchen politisch verurteilt, indem man ihn als solchen anerkennt, weil er die Bedingungen des Straftatbestandes erfüllt, ist nicht, und darf nicht, von der Prognose auf Rechtsfolgenseite abhängig (sein).

Kein Mensch stellt die Frage, ob die Tötung eines Menschen als Mord zu qualifizieren ist in die Abhängigkeit der Frage, ob Hinterbliebene existieren, die nun Ansprüche erheben könnten.

Genauso überflüssig ist die Warnung vor der Störung des inneren Friedens durch Schadensersatzforderungen an Deutschland.

Was für ein absurder Gedanke, Deutschland würde sich – aus Angst vor der Nazi-Ecke – JEDER Zahlungsaufforderung ungeprüft beugen. Gerade gegenüber Griechenland hat die Bundesregierung bereits die Forderungen zurückgewiesen.

Auch sehe ich weder die polnischen und griechischen Mitbürger noch die armenischen Mitbürger “Nazi-Deutschland” rufend auf deutschen Straßen Unruhe stiften, noch sehe ich, dass sich hier ein handfester außenpolitisch bedeutender Streit entwickelt.
Gerade mit Polen und Griechenland sind die Beziehungen Deutschlands in den unterschiedlichsten Themenbereichen intensiv verwoben, als dass sich hier Fronten an dieser Frage verhärten müssten.
Und mit Armenien, das solche Forderungen noch gar nicht erhoben hat, kommt Deutschland (mit Blick auf den Bündnispartner Türkei sei gefragt: warum auch immer?!) sich gerade näher.

Nur der Vollständigkeit halber:
Der innere Frieden in Deutschland wird gerade, (und das ist nicht zu verleugnen) viel eher an der Frage der unkontrollierten Migrationspolitik und der völlig verfehlten, unkritischen Islampolitik gefährdet.

Umso mehr stellt sich die Frage nach dem Motiv eines so angesehenen Historikers.

Als Armenierin und Nachkomme der Überlebenden des Völkermordes von 1915 stelle ich mich jedenfalls nicht in Konkurrenz zu den geopferten Juden des Holocausts bzw. deren Nachkommen.
Ich sehe die Gemeinsamkeiten und klage an, gerade um zu zeigen, es kann sich immer noch auf die eine oder andere Weise wiederholen, Vernichtungsabsicht kann wieder aufkeimen, wahrlich nicht nur auf deutscher Seite.

Die Türkei als Nutznießerin des Genozides bzw. das Tätervolk des Osmanischen Reiches wurde seinerzeit und bis heute dieses Verbrechens wegen nicht verurteilt.
Hitler nahm sich den Armeniergenozid und vor allem den Umgang mit dem Armeniergenozid zum Vorbild.
Vielleicht, so sagt man, wäre das eine, der Holocaust, nicht passiert, wenn man sich dem anderen, dem Völkermord an den Armeniern, in angemessener Form gewidmet hätte, statt (heute) jeden Vergleich völlig unnötig in Konkurrenz zu setzen und die Augen vor der jederzeit möglichen Unendlichkeit der Dimension von Radikalisierung zu verschließen.

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Siehe den Artikel von Michael Wolffsohn:  Die deutsche Doppelmoral und ihre Folgen – wie amtsdeutsche Völkermord-Theorie Griechen und Polen auf den Plan rief

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