16. November 2020 Peter Mühlbauer

Erdoğan fordert Verhandlungen über eine offizielle Teilung Zyperns – argumentiert er widersprüchlich?

Bei einem Besuch in der nordzyprischen Hauptstadt Lefkoşa hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan gestern verlautbart, es gebe “in Zypern zwei getrennte Völker, zwei getrennte demokratische Ordnungen und zwei getrennte Staaten”, weshalb “auf der Grundlage souveräner Gleichheit eine Zweistaatenlösung besprochen und ausgehandelt werden” solle. Vorher hatte er trotz nassen und windigen Wetters ein “Strandpicknick” im Varosha absolviert und dabei gemeint, es stehe fest, wer die “wahren Besitzer” dieses Badeorts seien.

Zwei Symbole

Der zyprische Staatspräsident Nikos Anastasiades wertete den Besuch dort als Provokation. Aus Varosha, einem Teil der Stadt Famagusta, waren die vorwiegend griechischen Einwohner nämlich geflohen, als die türkische Armee 1974 in Nordzypern einmarschierte. Sie machte aus dem ehemaligen Touristenresort ein Sperrgebiet, bis es im Herbst 2020 wieder seiner Nutzung aus den 1970er Jahren zugeführt wurde – aber unter türkischer Führung. So eine Wiedereröffnung verstößt Anastasiades zufolge gegen UN-Resolutionen, die fordern, den geflohenen Bewohnern ihr Eigentum zurückzugeben. In Lefkoşa sieht man das anders und verweist darauf, keine Häuser, sondern lediglich den Strand freigegeben zu haben.

Weil sich so ein Strand mit einem Hinterland wirtschaftlich besser nutzen lässt, erwarten manche Beobachter, dass die nordzyprische Staatsführung die griechischen Besitzer der Grundstücke als nächstes vor die Wahl stellen könnte, innerhalb einer Ausschlussfrist eine Rückgabe oder Entschädigung zu verlangen. Damit würde sie dann auch griechische Bürger Zyperns indirekt dazu zwingen, ihre Autorität anzuerkennen.

Insofern lässt sich Erdoğans Picknick unter merkwürdigen Wetterverhältnissen vor allem als Symbol eines verstärkten Eintretens für eine endgültige Teilung Zyperns verstehen. Ein weiteres Symbol war die Begleitperson, die er auf seine Reise mitnahm: Devlet Bahçeli, den Vorsitzenden der Milliyetçi Hareket Partisi (MHP), die als politischer Arm der “Grauen Wölfe” gilt. Der französische Innenminister hat diese pantürkische Bewegung am 4. November verboten (vgl. Frankreich verbietet Graue Wölfe), der deutsche soll diese Woche vom Bundestag dazu aufgefordert werden, ein Verbot zu prüfen (vgl. Deutsche und türkische Rechtsextremisten gleich behandeln).

Pompeo rüffelt symbolisch

Weniger überraschend war, dass Erdoğan bei seinem Besuch in Nordzypern auch mit dem dortigen neuen Staatspräsidenten Ersin Tatar zusammentraf (vgl. Deutsche und türkische Rechtsextremisten gleich behandeln). Wäre das nicht geschehen, hätte der Schützling das wohl als Zeichen der Missbilligung interpretieren müssen. So wie Erdoğan selbst es als Zeichen der Missbilligung interpretieren muss, wenn der US-amerikanische Außenminister Mike Pompeo morgen die Türkei besucht, und dabei nicht mit ihm oder seinem Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu spricht, sondern mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomäus I. Dem Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg zufolge hatte Çavuşoğlu Pompeo eingeladen, doch auch nach Ankara zu kommen, was der Amerikaner mit dem Hinweis ablehnte, der türkische Außenminister könne ja auch nach Istanbul fliegen, wenn er ihn treffen wolle.

Während Erdoğan in der Zypernfrage mit “zwei getrennten Völkern” und “zwei getrennten demokratischen Ordnungen” für eine “Zweistaatenlösung auf der Grundlage souveräner Gleichheit” plädiert, machte er in der Bergkarabachfrage genau das Gegenteil: Hier sicherte er dem aserbaidschanischen Präsidenten jegliche Unterstützung zu, damit der aus “zwei getrennten demokratischen Ordnungen” mit “zwei getrennten Völkern” wieder eines macht und die armenische Region, die sich 1991 für unabhängig erklärte, in seinen Staatsverband integriert (vgl. “Mit allen Möglichkeiten an der Seite der aserbaidschanischen Geschwister”).

Das gelang Alijew letzte Woche nicht ganz, aber teilweise (vgl. Bergkarabach geteilt). Er verfügt nun über den Süden der Region einschließlich der Stadt Schuschi, die jetzt wieder den türkischen Namen Şuşa trägt (vgl. Ist Bergkarabach gefallen?). Darüber hinaus müssen die Armenier bis zum 1. Dezember alle Korridorgebiete räumen – bis auf einen fünf Kilometer breiten Streifen, der die “asymmetrische Konföderation” künftig verbindet.

Geben sich Erdoğan und Alijew mit dieser Teilung zufrieden und spekulieren sie nicht auf einen Abzug der Russen und eine Eroberung des Rests in fünf, zehn oder vielen Jahren später, müsste man die Positionen des türkischen Staatschefs zu Bergkarabach und zu Zypern nicht unbedingt als widersprüchlich ansehen, weil beides Teilungskompromisse wären. Die griechischen Zyprer könnten dann allerdings argumentieren, dass die türkischen Aseris in ihre ehemaligen Siedlungsgebiete im Korridor und in Schuschi nicht unter armenischer, sondern unter aserbaidschanischer Hoheit zurückkehren können – während Nordzypern für einem türkischen Bevölkerungsanteil von 1974 deutlich unter 20 Prozent 37 Prozent der Insel beansprucht – darunter auch die zum Zeitpunkt der Teilung wirtschaftlich stärksten Gebiete, aus denen viele der griechischen Zyprer flüchteten ( (vgl. 90 Millionen Euro für Tötungen und Enteignungen von Griechen). (Peter Mühlbauer)

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