Dr. Gerayer Koutcharian, 27.01.2015
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LESERBRIEF
Meisner, Matthias: Bundesregierung will nicht von Völkermord sprechen. „Tagesspiegel“, 23.01.2015
Das (Tot)Schweigen des Genozids an den Armeniern, Aramäern/Assyrern und kleinasiatischen Christen im Osmanischen Reich (mit insgesamt über drei Millionen Opfern 1912-1922) ist so alt wie dieses Verbrechen. 1915 gab der damalige Reichskanzler die Devise aus: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“
Dankenswerterweise schweigt der „Tagesspiegel“ nicht.
Im April 2000 reichte ich mit einem türkischen und einer deutschen Menschenrechtler_in eine von über 14.000 Menschen – die meisten aus der Türkei stammend – unterzeichnete Massenpetition beim Deutschen Bundestag ein. Wir Petenten wollten, dass der Bundestag den osmanischen Genozid als Verbrechen entsprechend der UN Konvention verurteilt, denn ihr liegt nach Aussage ihres Autors, des jüdisch-polnischen Juristen Raphael Lemkin, der Genozid an den Armeniern und anderen Christen im Osmanischen Reich prototypisch zugrunde. Der Bundestag wollte sich damals nicht näher mit unserem Anliegen befassen und verwies auf eine 2001 gegründete Türkisch-Armenische Versöhnungskommission (TARC). Diese gab beim Internationalen Zentrum für Transitionale Gerechtigkeit (USA) ein Rechtsgutachten in Auftrag, das 2003 feststellte, die UN Konvention sei in allen Punkten auf die von unserer Bundesregierung als „Vertreibungen und Massaker“ umschriebenen „Ereignisse“ anwendbar. Leider scheinen weder Bundestag, noch Bundesregierung das Gutachten je zur Kenntnis genommen zu haben, sonst würden sie nicht seit 2005 gebetsmühlenartig die Gründung türkisch-armenischer Kommissionen fordern. Türken und Armenier begegnen sich ohnehin seit Jahren auf wissenschaftlichen Konferenzen, ohne dass es dazu deutscher Vermittlung bedarf.
Obwohl Ulla Jelpke 2001 zu den wenigen Abgeordneten gehörte, die unsere Petition unterzeichneten, muss ich ihr in der harschen Kritik gegen das Potsdamer Lepsiushaus widersprechen. Der evangelische Theologe Johannes Lepsius war nicht missionarisch, sondern karitativ im Osmanischen Reich tätig. Vor allem war er der einzige prominente deutsche Intellektuelle, der für die verfolgten und im Ersten Weltkrieg vernichteten Armenier Partei ergriff und die Verbrechen öffentlich zu machen versuchte. Die „Manipulationen“, die Frau Jelpke Lepsius bei der Herausgabe seiner Aktendokumentation „Deutschland und Armenien“ (1919) unterstellt, gehen auf das deutsche Auswärtige Amt und die Gutgläubigkeit von J. Lepsius zurück. Dass dem Lepsiushaus die Mittel fehlen, um seinen bildungspolitischen Auftrag noch effektiver zu erfüllen, ist nicht dem Namensgeber anzulasten.
Dr. Gerayer Koutcharian
Vorstandsmitglied
ARBEITSGRUPPE ANERKENNUNG – GEGEN GENOZID, FÜR VÖLKERVERSTÄNDIGUNG e.V.
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Tel.: 7713822
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