Offener Brief an Archimandrit Serovpé Isakhanyan

Geschrieben von: Anahit Knolle-Akyüz

Wir feiern Weihnachten, aber zu einem anderen Zeitpunkt als die okzidentalen Christen. Das armenische Weihnachtsfest fällt auf einen regulären Arbeitstag in Deutschland. Wie gehen unsere Kirchenmänner mit dieser Tatsache um? Wie können wir unsere Traditionen in der Fremde aufrecht erhalten? Müssen wir uns einen Panzer aus Hochmut und Verleugnung anlegen, um uns Geltung zu verschaffen? Die Psychologin Anahit Knolle-Akyüz hat ein Weihnachtsgottesdienst in Hanau besucht und schreibt jetzt an Hayr Serovpé einen offenen Brief, in dem sie ihre Empörung über den Umgang mit Gläubigen zum Ausdruck bringt.

Sehr geehrter Hayr Serovpé,

am 5. Januar habe ich der Heiligen Messe beigewohnt, die Sie anlässlich der armenischen Weihnachtsfeier in Hanau zelebrierten. Ihre lange, glühende und zornige Predigt von der hohen Kanzel beschäftigt mich bis heute. Und ich muss sagen: ich bin enttäuscht von Ihnen!

Sie haben die Länge ihrer Predigt damit erklärt, dass viele Menschen anwesend seien und sie die Gelegenheit nutzen wollten, wichtige Dinge zu sagen. Sie haben mit keinem Wort erwähnt, dass Sie es gut finden, dass so viele Menschen den Montag freigenommen haben, um an der Messe teilzunehmen und ihr Weihnachtsfest zu feiern. Sie haben aber die Menschen verurteilt, die sich an Sie gewandt und Sie darum gebeten haben, die Messe an einem Wochenende zu halten, weil sie arbeiten müssen.

Lieber Hayr Serovpé, Sie finden es selbstverständlich, dass man sich den Tag frei nimmt. Ich habe mir diesen Tag frei genommen, weil ich das für wichtig hielt und weil ich das wollte. Und wie viel Armenier gibt es hier, die noch so sehr mit ihren alltäglichen Sorgen beschäftigt sind oder sich nicht frei nehmen konnten, oder einfach nicht dazu gekommen sind, weil die Integration in eine fremde Gesellschaft Ihnen so viel Kraft und seelische Mühe abverlangt? In meinen ersten Jahren in Deutschland war ich so sehr mit dem Verkraften des Neuen beschäftigt, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, mir noch Anfang Januar frei zu nehmen.

Unsere Landsleute haben Sie nach einer Messe am Wochenende gefragt, weil sie ihre Traditionen unter den hiesigen Bedingungen pflegen wollten. Sie haben kein Verständnis dafür? Können Sie denn nicht ihre Bemühungen anerkennen, doch ein Teil der armenischen Gemeinschaft zu bleiben? Als Mensch kann ich Ihre Verbitterung und Ihre Wut in dem Menschen Serovpe Isakhanyan verstehen, dem die Folgen der Entwurzelung und des Lebens in der Fremde bewusst sind, aber nicht in einem Hayr Serovpé, der Botschaften an Menschen richtet, die mit Vorwürfen und Schuldgefühlen gesät sind und nicht mit Liebe und Verständnis.

Sie sagen, dass unsere Traditionen wichtig sind und wir diese Traditionen befolgen sollten. Wie gerne würde ich nicht nur die Weihnachtsfeier am 6. Januar feiern, sondern auch am 24. April, am Vardavar und anderen Tagen frei nehmen. Aber ich lebe nicht in meiner Heimat Armenien. Neben der Tatsache, dass ich in Deutschland lebe und mich an das gesellschaftliche Umfeld angepasst habe, um zu überleben und nicht immer beliebig frei nehmen kann, wenn armenische Feste sind, kann ich nicht so eine Armenierin sein wie in Armenien. Es ist nicht möglich! Ich lebe schon seit 18 Jahren in meiner zweiten Heimat Deutschland, und für mich war das ein Trauerprozess, mich meiner Entwurzelung und der Unumkehrbarkeit dieser Tatsache bewusst zu werden. Es ist aber mein Schicksal, unser aller Schicksal in der Fremde, womit Sie sich auch auseinandersetzen müssen: das Armeniersein in der Diaspora ist anders!

Für mich ist es auch kein Trost, wenn Sie gefragt werden, warum Armenier spät ihre Weihnachten feiern und Sie dann antworten: „Wir feiern nicht spät Weihnachten, sondern früh. Wir beginnen das Jahr damit.“ Ist das eine wirklich ernst gemeinte Erklärung? Was wollen Sie damit bezwecken? Wir werden durch diese Erklärung keine besseren Christen. Leider versteigen sich Armenier schnell zu Vorstellungen, eine besondere Nation mit alter Kultur und alter Geschichte zu sein. Diese notwendige narzisstische Stabilisierung ist meiner Meinung nach die Kompensation der Minderwertigkeitsgefühle, die wir häufig erleben und die wir nicht immer verleugnen können: unsere Ohnmacht angesichts der politischen, wirtschaftlichen und leider auch kulturellen Schwäche Armeniens und der Armenischen Diaspora.

Lieber Hayr Serovpé, Sie sollten sich nicht wundern, wenn die Zahl der Kirchgänger weiterhin schrumpft. Das liegt u.a. daran, dass Sie auch nicht bereit sind, Abstand von unserer langen kirchlichen Tradition des vorwurfsvollen und verurteilenden Priesters zu nehmen. Begegnen Sie statt dessen den Menschen mit Liebe und Verständnis.

Anahit Knolle-Akyüz
Psychologin,
Frankfurt am Main

quelle: http://www.hay-society.de/

 


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