ür Friedrich Merz ist Innovation eine nationale Notwendigkeit. Doch es sieht eher danach aus, dass Deutschlands Innovations-Comeback genauso scheitern wird wie das Polit-Comeback von Friedrich Merz.
TOROS SARIAN, HAMBURG Samstag, 23. Jan. 2021
Die Nachkriegsära war nicht nur gekennzeichnet vom Aufstieg der USA zur Weltmacht, sondern auch durch eine scheinbar unendliche deutsche Erfolgsstory, die bereits kurz nach der totalen Niederlage des Hitler-Faschismus begann: Das „Wirtschaftswunder“ und die Integration in die NATO bildeten die Grundlage für den Aufstieg Deutschlands. Mit der von ihr und Frankreich entscheidend vorangetriebenen europäischen Integration wurde sie die überragende politische und ökonomische Macht in Europa; mit der „Wiedervereinigung“ bekam das Land einen zusätzlichen Auftrieb. Der krönende Abschluss des Aufstiegs soll die Aufnahme des Landes in den Kreis der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sein. Mit der Finanzkrise 2007/08, der Griechenland-Krise 2010, der „Flüchtlingskrise“ 2015/16, dem Brexit und den Problemen mit der Trump-Regierung hat Deutschland erfahren, dass die politische und ökonomische Entwicklung nicht so reibungslos verläuft wie erwartet.
Insbesondere zwei Ereignisse deuten darauf hin, dass vor allem der deutschen Autoindustrie schwierige Zeiten bevorstehen: die Errichtung der Tesla Gigafactory in Brandenburg und der Brexit. Das kalifornische Unternehmen will mit einer Fabrik vor den Toren Berlins den Markt für Elektroautos in Europa beherrschen und die erst 1973 in die EU eingetretenen Briten sind nun wieder ausgetreten, weil sie als unabhängiger „Global Player“ für sich bessere Entwicklungsperspektiven sehen. Die EU hat ihr wirtschaftlich zweitstärkstes Mitglied verloren. Nun ist Frankreich in diese Position aufgerückt und die bisher relativ harmonischen deutsch-französischen Beziehungen könnten sich schwierig gestalten, denn die Grande Nation gewinnt nach dem Austritt Großbritanniens mehr Gewicht. Von Polen bis nach Griechenland gibt es viel Misstrauen und auch Ängste gegenüber Deutschland. Bei den zwei großen EU-Mitgliedern Frankreich und Italien ist es ähnlich. Genaugenommen ist nur das winzige Luxemburg ein verlässlicher Partner Deutschlands in der EU.
Von entscheidender Bedeutung sind allerdings die wirtschaftlichen Aussichten für den „Exportweltmeister“. Die Konkurrenz durch industrielle Schwellenländer wird immer mehr zunehmen, was dazu führen wird, dass es für den „Exportweltmeister“ schwieriger wird, seine Industrieerzeugnisse auf den Märkten so einfach wie bisher abzusetzen. Aber ein noch weitaus größeres Problem ist, dass die deutsche Wirtschaft gegen die innovativen Rivalen aus den USA oder Ostasien kaum mithalten kann. Auf das sich abzeichnende Ende des Verbrennungsmotors haben die deutschen Autohersteller zu spät reagiert. Wahrscheinlich zu spät, um den Rückstand noch aufholen zu können.
Tesla als „unkalkulierbare Gefahr“ für die deutsche Autoindustrie
Dass der US-Konzern Tesla seine Gigafactory ausgerechnet vor den Toren Berlins errichtet, ist wie ein Frontalangriff auf den Kern der deutschen Industrie. Politiker behaupten zwar, dass die Errichtung der Gigafactory die Attraktivität Deutschlands bei ausländischen Investoren darstelle, aber wahrscheinlich freut sich niemand wirklich darüber, dass ein amerikanisches Unternehmen in Deutschland eine hochmoderne Fabrik für E-Autos baut. Mit der ersten Gigafactory in Europa kann Tesla seine Position auf dem Zukunftsmarkt ausbauen, während die deutsche Autoindustrie hinterherhinkt. Es heißt zwar, dass Konkurrenz das Geschäft belebt, aber jedes Unternehmen möchte lieber einen möglichst großen Vorsprung gegenüber den Marktrivalen haben und im Wettbewerb eine Führungsrolle übernehmen. Die nicht offen gestellte Frage ist: Warum sind nicht die deutschen Autobauer, sondern ein amerikanisches Unternehmen Vorreiter der Elektromobilität geworden?
„Tesla-Chef Musk ist für die Autoindustrie eine unkalkulierbare Gefahr“, lautet der Titel eines 2017 in der Süddeutschen Zeitung erschienen Artikels. Die selbstgefälligen, erfolgsverwöhnten Meister des Verbrennungsmotors dachten, dass E-Autos keine Konkurrenz zu Autos mit Verbrennungsmotor werden könnten: „Die gelernten Ingenieure aus München, Wolfsburg und Stuttgart messen den Mann, der als Gründer von IT-Unternehmen begann, mit ihren eigenen Maßstäben. Maßstäbe aus einer Welt, in der Motoren, PS, Umsatz, Absatz und Gewinn pro verkauftem Auto entscheidend sind und in der diejenigen, die diese Autos bauten und entwickelten, noch Männer mit ,Benzin im Blut‘ waren”. Dass die Manager in den Chefetagen von VW, Daimler-Benz und BMW die sich abzeichnende Entwicklung ebenfalls nicht rechtzeitig erkannten und darauf reagierten, zeugt von ihrer mangelnden Innovationsbereitschaft.
Tesla ist nicht die einzige Gefahr für die deutschen Autobauer, sondern auch China: Der Verbrennungsmotor geht seinem Ende entgegen und die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt nutzt seine Chance, von Beginn an bei der Entwicklung und Produktion von E-Autos an führender Position dabei zu sein. Die sich rasant entwickelnde, innovative chinesische Autoindustrie wird wohl nicht nur die große Nachfrage im eigenen Land decken, sondern auch in ausländische Märkte eindringen. Das Land wird somit eigenständig ein hochwertiges technisches Produkt herstellen und auf dem Weltmarkt anbieten können. Gerade für die deutschen Autokonzerne ist China als weltgrößter Automarkt besonders wichtig, denn jedes dritte ihrer Autos hatten sie 2018 dorthin verkauft. Die Versäumnisse und Probleme der Autoindustrie sind so gravierend und die Furcht, von der Konkurrenz abgehängt zu werden, ist so groß, dass das Handelsblatt zu folgender alarmierenden Lageeinschätzung kommt: „Die Zeiten, in denen wir Volkswagen und Co mit fast schon unterwürfiger Ehrerbietung glorifizierten, sind vorbei. Mit der Dieselaffäre hat sich die Automobilbranche selbstverschuldet in eine tiefe Vertrauenskrise manövriert und muss seitdem Schadensbegrenzung betreiben. Gleichzeitig steht die gesamte Branche nicht erst seit den folgenreichen Produktionsstopps infolge des Coronavirus vor Herausforderungen, die einen mindestens genauso massiven Kraftakt erfordern wie die Aufarbeitung der Dieselkrise. Die elektrifizierte Zukunft ist beschlossene Sache, das autonome Fahren kein Wunschdenken mehr. Und Deutschlands Schlüsselbranche läuft dabei Gefahr, den Anschluss zu verlieren – und damit den Wohlstand des gesamten Wirtschaftsstandortes zu verschleifen.“
Angesichts dieser düsteren Perspektive für die industrielle Schlüsselbranche empfiehlt der Autor des Handelsblatts eine „gemeinsame Lösung“ der deutschen Autokonzerne, denn „zu fortgeschritten ist die Konkurrenz aus Übersee, als dass ein Unternehmen den Innovationsstau allein bewältigen könnte. Es bedarf gemeinsamer Lösungen. Die Konzerne müssen ihren Rivalitätsdrang bändigen“. Es wird offen zugegeben, dass die Autoindustrie von der Konkurrenz abgehängt wurde, aber ob sie durch ein nationales Bündnis wieder Anschluss finden kann, ist zweifelhaft. Zusammenschlüsse von großen Autokonzernen gibt es ohnehin bereits: Der französische Konzern PSA (Peugeot, CS, Citroën und Opel) schloss sich kürzlich mit Fiat-Chrysler zu der Automobilholding Stellantis zusammen. Renault Nissan und Mitsubishi haben sich bereits 1999 zusammengeschlossen. Daimler-Benz versuchte bereits 1998 durch eine Fusion mit dem US-Konzern Chrysler ein „Global Player“ zu werden. Bereits nach zwei Jahren endete das Projekt in einem Desaster. Nach dieser Erfahrung setzt man wohl lieber auf ein rein deutsches Bündnis.
Wenn es um die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autoindustrie geht, werden alle Parteien im „nationalen Interesse“ daran mitwirken: Die Grünen mit dem Argument, den Klimawandel durch eine grüne industrielle Revolution zu verhindern; Linke und Sozialdemokraten mit dem Argument, deutsche Arbeitsplätze zu sichern; für die bürgerliche-liberalen Parteien geht es um das Überleben der deutschen Unternehmen im immer härter werdenden globalen Wettbewerb.
Deutsche Lösung von Problemen: Behörden, Beamte und Maßnahmen
Die Aussichten, den Vorsprung der Rivalen aus Kalifornien oder China doch noch einzuholen zu können, stehen schlecht. Es wird zwar seit Jahren viel über die Auflösung von „Innovationsstaus“, eine zügigen Digitalisierung oder eine ökologische Umgestaltung der Industrie geredet, aber nennenswerte Fortschritte gibt es kaum. Um den „Innovationsstau“ aufzulösen, fällt der Politik nichts anderes ein, als das, was die deutsche Vorgehensweise gegen Probleme auszeichnet: neue Behörden schaffen und staatliche Fördermaßnahmen beschließen. Ein Beispiel für diese bürokratische Vorgehensweise ist Hamburg, wo es eine „Behörde für Wirtschaft und Innovation“ (BWI) gibt. Behörden, staatliche Institutionen und Beamte sollen eine innovative Wirtschaft schaffen, während gleichzeitig alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens penibel reglementiert und kontrolliert werden. Das System, das für „Innovationsstaus“ verantwortlich ist, will diese behördlich geregelt auflösen.
In einem strukturell konservativen Land wird die Innovation kaum eine Chance haben, denn Innovationsbereitschaft setzt eine Mentalität in der Gesellschaft voraus, die für Erneuerung und Wandel offen ist. Davon ist Deutschland weit entfernt, denn hier bedeuten Erneuerung und Wandel „unkalkulierbare Gefahren“ für Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Die geringe Innovationsbereitschaft der Wirtschaft entspricht der Haltung im Staats- und Regierungsapparat und der Gesellschaft. Die bei Umfragen fast immer an der Spitze der Liste der beliebtesten Politiker stehende Kanzlerin würde sicherlich erneut wiedergewählt werden, obwohl sie in sechzehn Regierungsjahren kaum etwas Innovatives vorzuweisen hat.
Fridrich Merz, der viele Jahre beim weltweit größten Investmentfond Blackrock gearbeitet hat, kennt die Schwächen Deutschlands im globalen Wettbewerb sicherlich wie kaum ein anderer deutscher Politiker. Er ist zwar konservativ in gesellschaftspolitischen Fragen, aber aufgrund seiner Erfahrungen bei Blackrock weiß er, dass Deutschland ohne eine innovative Wirtschaft keine Chance im Wettbewerb gegen die USA und China hat. Innovation ist für ihn somit eine nationale Notwendigkeit. Merz zeigt sich optimistisch: „Deutschland steht vor einem Comeback der Innovationen und überlässt die Zukunft nicht allein Amerika und China”. Doch es sieht eher danach aus, dass Deutschlands Innovations-Comeback genauso scheitern wird, wie das Polit-Comeback von Friedrich Merz.