Dr. Jochen Mangelsen - Genozid Armenien © Christina KuhauptIn Bremen werden etwa 1 500 Armenier der Opfer des Völkermords gedenken. Felix Frank sprach mit Jochen Mangelsen, der die Interessen der Armenier in Bremen vertritt, über die armenische Sehnsucht nach einer Versöhnung mit den Türken und nach der Anerkennung des Genozids in Deutschland.

Wie denken die Armenier in Bremen heute über den Völkermord?

Jochen Mangelsen: Alle Armenier, die in der Diaspora leben, verbinden eine persönliche Geschichte mit dem Völkermord. Alle Familien haben Tote zu beklagen. Sie leiden bis heute darunter, dass sie nie die Möglichkeit hatten, ihre Trauer abzuladen. Da hat sich ein Trauma aufgebaut. Nicht zuletzt, weil der Völkermord in der Türkei, aber auch in Deutschland nach wie vor verleugnet wird.

Zuletzt bestritt der türkische Staatschef Erdogan den Völkermord und forderte eine wissenschaftliche Untersuchung. Was bedeuten solche Aussagen für das Verhältnis zwischen Türken und Armeniern?

Das ist eine Katastrophe. Der türkische Präsident vertritt seit Langem die These, dass eine internationale Historikerkommission die Frage, ob es sich um einen türkischen Völkermord handelt oder nicht, klären müsste. Diese Frage ist aber längst geklärt. In der seriösen Geschichtsschreibung gibt es überhaupt keine Unstimmigkeiten darüber. Erdogan betreibt eine völlige Neuinterpretation der Völkermordopfer, indem er sie als Gefallene des Ersten Weltkriegs darzustellen versucht. Das ist eine wirklich perverse Volte.

Was ist der Grund dafür, dass die Türkei den Völkermord immer noch leugnet?

Das hat etwas mit dem Gründungsmythos der modernen Türkei zu tun. Die Türkei ist aus dem Osmanischen Reich entstanden, sie baut quasi auf einem Völkermord auf. Die heutige Generation der Türken hat große Schwierigkeiten, ein Bekenntnis dazu abzulegen, dass ihre Groß- oder Urgroßeltern damals ein schweres Menschheitsverbrechen begangen haben. Die Politik tut alles dafür, dass eine Auseinandersetzung mit dem Thema nicht stattfindet.

Wie realistisch ist eine baldige Versöhnung zwischen Türken und Armeniern?

Die Armenier haben eine große Sehnsucht nach einer Versöhnung. Aber wenn die Seite der Tätergesellschaft eine solche Tat leugnet und nicht bereit ist, Gespräche aufzunehmen, mit wem sollen sich die Armenier dann versöhnen? Die einzige Hoffnung der Armenier in dieser Frage ist, dass es in der Türkei irgendwann mal eine umfassende Zivilgesellschaft gibt, die sich diese Geschichtsverfälschung seitens ihrer Politik nicht mehr bieten lässt.

Auch Deutschland war direkt am Völkermord beteiligt. Warum spielt das in der Wahrnehmung keine so große Rolle?

Die kaiserliche Zensur wirkt mehr als 100 Jahre nach. Es ist ein Tabuthema der deutschen Politik. Im Grunde wissen alle Beteiligten, was damals geschehen ist, aber keiner will offen darüber reden. Außerdem hat die deutsche Öffentlichkeit den Holocaust auf den Schultern und weigert sich, noch ein anderes Thema draufzusatteln.

Vor zehn Jahren wurde anlässlich des 90. Jahrestags in Bremen das erste deutsche Mahnmal aufgestellt. Wie sind die Armenier in Bremen heute organisiert?

Es gibt eine armenische Kirchengemeinde, die seit einigen Jahren inaktiv ist. Spätestens im Mai soll sie aber wiederbelebt werden. Ein Neustart also. Zudem haben wir jedes Jahr am 24. April am Mahnmal an der Gustav-Deetjen-Allee unsere Gedenkveranstaltung. Ohne dass wir irgendwelche besonderen Aktionen gemacht hätten, kommen immer mehr Leute dorthin. Dieser Stein entfaltet über die Jahre eine zunehmende Kraft.

Begleitet wurde der Gedenktag damals von einer Gruppe türkischer Demonstranten. Wie groß ist Ihre Sorge, dass es bei den diesjährigen Veranstaltungen erneut zu Protesten kommt?

Aufgrund des 100. Jahrestags ist es natürlich wieder eine besondere Situation, aber meine Erfahrung aus den letzten Jahren ist, dass wir keine große Sorge haben müssen. Seit der Einweihung des Steins mit den damaligen Protesten von türkischen Gruppierungen ist nie wieder etwas passiert. Der Stein ist nicht beschädigt worden, es hat kein Graffiti gegeben.

Was wollen die Armenier mit den Bremer Gedenktagen bewirken?

Zuallererst wollen sie der Opfer von damals gedenken. Die Würde der Opfer ist die treibende Kraft für die Armenier, sich hier und in aller Welt an den Gedenkveranstaltungen zu beteiligen. Wir sind diesen Opfern die Wahrheit schuldig, eine schonungslose Auseinandersetzung über Tat, Täter, Mitwirkende und Mitwissende. Das Zweite ist eine ganz massive politische Forderung an die Gesellschaft der neuen Heimat, an die deutsche Politik also, sich endlich zu der Geschichte zu bekennen und den Völkermord anzuerkennen. Mit Bürgermeisterin Karoline Linnert haben wir eine aktive Politikerin, die bei der Gedenkveranstaltung am 24. April zu diesem Thema sprechen wird. Das ist relativ ungewöhnlich und ein besonderes Zeichen, das die Politik hier in Bremen setzt.

Zur Person: Jochen Mangelsen (72) ist seit vielen Jahren Sprecher der Armenischen Gemeinschaft Bremen. Der Autor, der Anfang der 70er-Jahre erstmals in Armenien gewesen ist, hat mehrere Bücher über das Land geschrieben.

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